AUSZUEGE AUS DEM BUCH " GRUNDFORMEN DER ANGST" VON FRITZ RIEMANN

 

Die depressiven Persoenlichkeiten

>>Vergiss dein Ich , dich selbst verliere nie<<
HERDER

Wenden wir uns nun einer Grundform der Angst zu ,
der Angst, ein eigenstaendiges ICH zu werden, die zutiefst erlebt wird als das Herausfallen aus der Geborgenheit.
Von den Grundimpulsen her gesehen
handelt es sich dabei nach unserem Gleichnis um die Menschen, die die >>Revolution<<,
also die Bewegung um ein groesseres Zentrum,ueberwertig leben und die " Eigendrehung" vermeiden wollen;
wir bezeichnen damit die Seite der Hingabe im weitesten Sinne.
Der Wunsch nach vertrautem Nahkontakt , die Sehnsucht , lieben zu koennenund geliebt zu werden
gehoert zu unserem Wesen und ist eines der Merkmale der Menschlichkeit ueberhaupt.
Als Liebende haben wir den Wunsch, den geliebeten menschen gluecklich zu machen, wir fuehlen uns in ihn ein,
wir wollen seine Wuensche erraten, denken mehr an ihn als an uns selbst , koennen uns selbst vergessen
und den beglueckenden Austausch des Gebens und Nehmens erleben, der uns mit ihm zu einem wir zusammenschmilzt,
das die Getrenntheit der Individuen aufhebt,wenigstens fuer Augenblicke.
Das Urbild solcher Liebe ist die Mutter-Kind-Beziehung, und vielleicht sucht alle Liebe das wieder herzustellen ,
wieder zu finden ,was wir in der fruehesten Kindheit erlebten ;
bedingungslos uns geliebt zu fuehlen, einfach als die wir sind, und zu erfahren ,
daß unser Dasein, das was wir zu geben haben ,was wir sind , den anderen ebenso beglueckt.
Wir bringen die Liebesfaehigkeit als eine unserer Anlagen mit ; aber sie muss angesprochen, geweckt werden.
um sich entfalten zu koennen. So gibt uns die empfangene Liebe sowohl das Gefuehlunseres eigenen Wertes,
als sie auch unsere Liebesbereitschaft ermoeglicht, die empfangenes zurueckgeben moechte.
Wir wollen uns nun wieder ueberlegen, wie es aussehen wird, wenn ein Mensch die Ich-Werdung vermeidend, ueberwiegend
die Ich-Aufgabe und Hingabe zu Leben versucht.

Die erste Folge wird sein, daß dadurch das Du , der jeweilige Partner einen Ueberwert bekommt.
Liebendes Sich-Hingeben-Wollen bedarf eines Partners, ist gebunden an das Da-Sein eines anderen Menschen und ohne ihn nicht moeglich.
Damit ist bereits eine Abhaengigkeit gesetzt; und hier liegt das zentrale Problem der Menschen die wir als die Depressiven bezeichnen wollen.
Sie sind mehr als andere auf einen Partner angewiesen. Sei es durch ihre Liebesfaehigkeit und Liebesbereitschaft,
sei es durch ihr Beduerfnis nach Geliebtwerden - zwei Seiten die sich
die sich mit ERICH FROMMS Worten aus dem Buch : >> die Kunst des Liebens <<
in die beiden Saetze zusammenfassen lassen:
" Ich brauche Dich weil ich dich liebe " und " ich liebe Dich weil ich Dich brauche"
Einmal braucht man also jemanden, um ihn zu lieben, um seine Liebesfaehigkeit anwenden zu koennen,
oder man braucht den anderen, weil man von ihm geliebt werden will und Beduerfnisse hat, die man aus sich selbst heraus
nicht glaubt erfuellen zu koennen.
Wenn nun ein Mensch einen anderen so dringend braucht ,wird er danach streben, die trennende Distanz zwischen
zwischen sich und ihm soweit wie moeglich aufzuheben.
Ihn quaelt die trennende Kluft zwischen Ich und Du - die Distanz also die der schizoide Mensch gerade so unbedingt brauchte,
und aufrecht zu erhalten bemueht war zum Selbstschutz.
Im Gegensatz dazu will der Depressive dem Du so nahe wie moeglich sein und bleiben .

Je weniger er an >>Eigendrehung<< entwickelt hat, um so mehr erlebt er jede Distanz , jede Entfernung und Trennung von einem Partner mit Angst
und wird versuchen es nicht soweit kommen zu lassen.
Fuer ihn bedeutet Ferne: Alleingelassenwerden,Verlassenwerden, und das kann ihn in tiefe Depressionen
bis zur Verzweiflung fuehren.
Was kann man aber tun um nicht der quaelenden Trennungs- und Verlustangst ausgesetzt zu sein ? Die einzige Hilfe waere
soviel an Eigenstaendigkeit und Unabhaengigkeit zu Entwickeln, daß man nicht so restlos auf einen Partner angewiesen ist
Aber gerade das faellt dem Depressiven schwer,denn dafuer muesste er ja die enge Bindung an den anderen lockern,
und das wuerde sofort wieder die Verlustangst ausloesen.
So sucht er nach anderen Sicherheiten, die sein Problem loesen sollen,
aber, wie wir sehen werden, nur verschlimmern.

Abhaengigkeit scheint ihm slche Sicherheit zu geben ; entweder indem er sich von einem anderen,
oder diesen von sich abhaengig zu machen sucht.
Wer von jemandem abhaengig ist, braucht ihn , und Gebrauchtwerden verspricht daher scheinbar eine
gewisse Garantie, die Garantie nicht verlassen zu werden.
Die eine Moeglichkeit scheint also zu sein ,einen Menschen fest ansich zu binden,
indem man moeglichst kindlich-hilflos und abhaengig von ihm bleibt, um damit zu demonstrieren,
daß man nicht verlassenwerden darf
- wer koennte so hart und lieblos sein, ein hilfloses Wesen zu verlassen?

Die andere Moeglichkeit scheint darin zu liegen den anderen von sich abhaengig zu machen , indem man ihn gleichsam zum Kinde macht;
sie ist das Gegenbild des vorbeschriebenen Bildes, mit umgekehrten Vorzeichen - die Motivation ist die gleiche :
eine Abhaengigkeit herzustellen.
Bei den Depressiven Menschen ist die Verrlustangst die dominierende, in ihren verschiedenen Ausformungen als
Angst vor Isolierender Distanz, vor Trennung, Ungeborgenheit und Einsamkeit vor dem Verlassenwerden.
Sie suchen die groesstmoeglichste Naehe und Bindung , wo der Schizoide Gegentypus die groesstmoegliche Distanz und Ungebundenheit suchte,
um sich vor seiner Angst zu schuetzen.

Bedeutet dem Depressiven Naehe : Sicherheit und Geborgenheit ,
so dem Schizoiden: Bedrohung und Einschraenkung seiner Autarkie ;
Bedeutet dem Schizoiden Distanz: Sicherheit und Unabhaengigkeit , so dem Depressiven :Bedrohung und Alleingelassenwerden.
Wenn der Depressive erkennt,daß schon das Ich-Werden, die Individuation, unvermeidlich ein trennendes anderssein bedeutet,
verzichtet er entweder beisich darauf oder er gesteht
es dem Partner nicht zu.
In der Sprache unseres Gleichnisses:
Der DEpressive versucht seiner Angst dadurch zu entgehen, daß er die Eigendrehung aufgibt oder dem anderen nicht zugesteht.
Er ist der Trabant eines anderen,oder er macht diesen zu seinem Trabanten.
So lebt er ein gleichsam mondhaftes, echohaftes ,nur zurueckspiegelndes Leben,
oder er draengt es dem andern auf.

Bewusst ist ihm dabei hoechstens die Verlustangst ; die Angst vor der Individuation, die das eigentliche Problem ist,
bleibt weitgehend unbewusst.
Seine Angst,daß die eigene oder die Selbststaendigkeit des Partnerszu einem Sich-Voneinander-Weg entwickeln
und damit zu einem moeglichen Verlust fuehren koenne, enthaelt den rivchtigen Kern,daß jede Individuationund
Eigenstaendigkeit uns ein Stueck isoliert.
Je mehr wir wir selbst werden,um so mehr unterscheiden wir uns von den anderen ,umso weniger Gemeinsames haben wir mit ihnen.
Individuation bedeutet immer auch , aus der Geborgenheit des Auch-Wie-Andere-seins herauszufallen, und ist daher mit Angst verbunden;
Der Herdentrieb will diese Angst aufheben, wie auch das Eintauchen in eine Masse die Angst vor der Individuation aufhebt.
Der Depressive Mensch ist dieser Angst besonders ausgesetzt.Bei ihm kann schon ein
Sich-Von-Anderen-Unterscheiden , ein anderes Denken oder fuehlen die Verlustangst
konstellieren , weil er es als Entfernung und Entfremdung erlebt.
Deshalb versucht er alles ihn vom anderen Unterscheidende aufzugeben.
Machen wir uns das noch etwas deutlicher:

Je weniger wir gelernt haben,unser Eigen-Sein, unsere Selbststaendigkeit zu entwickeln,
um so mehr brauchen wir andere.So stellt sich die Verlustangst heraus als die Kehrseite der Ich-Schwaeche.
D aher muss der Versuch, sich gegen die Verlustangst dadurch zu sichern, daß man immer mehr von sich aufgibt
, scheitern, ja das Gegenteil bewirken.
Denn wer sein ICH nicht stark entwickelt, braucht ein staerkeres ICH draussen als Halt,
von dem er immer abhaengiger wird, je schwaecher er selbst bleibt.
Wer aber so abhaengig wird, muss eine immerwaehrende Angst haben, diesen Halt zu verlieren -
hat er doch alles auf den anderen gesetzt , an ihn so viel delegiert, daß er ohne ihn nicht lebensfaehig zu sein glaubt,
weil seine Existenz ganz im anderen ruht.
Depressive Menschen suchen daher die Abhaengigkeit, die ihnen Sicherheit zu geben verspricht ; mit der
Abhaengigkeit steigert sich aber auch die Verlustangst ;
daher wollen sie so dicht wie moeglich am anderen haften, reagieren deshalb schon bei kurzen Trennungen mit Panik.
So kommt es zu dem hier typischen Teufelskreis, der nur im Wagnis der Ich-Werdung, des autonomen Subjekt-Seins durchbrochen werden kann.
Wenn der Schizoide Mensch sich vor vertrauender Naehe unteranderem dadurch schuetzte, dass er an der Meinung festhielt
die Menschen seien gefaehrlich und nicht vertrauenswuerdig,um damit seiner Angst vor der Hingabe auszuweichen,
neigt der Depressive auch hierin zum Gegenteil:
Er Idealisiert die Menschen eher,vor allem die ihm nahestehenden, verharmlost sie, entschuldigt ihre Schwaechen oder uebersieht ihre dunklen Seiten.
Er will nichts Erschreckendes oder Beunruhigendes an ihnen wahrnehmen , weil das seine vertrauenwollende Beziehung gefaehrden wuerde.
Dadurch entwickelt er zuwenig Phantasie fuer das Boese im Menschen - im anderen und in sich selbst -
denn um so restlos vertrauen und uneingeschraenkt lieben zu koennen,
muß er Zweifel und Kritik unterdruecken, laesst er sie gar nicht bewusst werden
er geht Spannungen aus dem Weg , vermeidet Auseinandersetzungen >>um des lieben Friedens willen<<
und weil sie ihm vom Partner zu entfremden drohen.
Er Idealisiert den Partner und sieht ueberhaupt die Menschen also als zu gut, was neben naheliegenden Gefahren des Ausgenutztwerdens eine
bei ihm haeufig zu findende, lang anhaltende Naivitaet und Kindlichkeit mit sich bringt.
So betreibt er Vogel-Strauss -Politik und versteckt seinen Kopf vor den Abgruenden des Lebens im Sand,
indem er an dem Glauben festhaelt, daß der Mensch gut sei.